Vom Kreißsaal auf die Kinderherzintensivstation
Trennung auf Zeit
Wer selbst schon einmal Mutter oder Vater geworden ist, kann sich sicherlich noch daran erinnern, wie einzigartig die ersten Sekunden, Minuten und Stunden sind. Wie man einfach jede Bewegung, jedes Geräusch, jedes kleine Detail in sich aufsaugt. Schon vor der Geburt hat mir allein der Gedanke daran, mein Kind in den ersten Minuten und Stunden nicht bei mir haben zu können, das Herz zerrissen. Ich fand es unerträglich, dass unser Baby UNGESCHÜTZT den Ärzten AUSGELIEFERT ist. Ich weiß, dass das übertrieben klingt, und sicherlich ist es auch nicht so, aber naja…Kopfkino und so. Wenige Minuten alt und schon muss man allein und ohne Security Untersuchungen über sich ergehen lassen, sich Zugänge legen lassen, wird durch helle, sterile, kalte Räume gereicht… In meinen Gedanken gab es da dieses kleine, hilflose Wesen, das gar nicht weiß, was da eigentlich gerade los ist und sich womöglich die Seele aus dem Leib schreit und das, wie alle Neugeborenen, den Schutz seiner Mama sucht – die aber leider nicht da ist und auch nicht kommt. Ich hatte wirklich Angst, dass das einen Knacks in unserer Beziehung hinterlässt (so ganz nebenbei – hat es nicht im geringsten!). Aber es ließ sich nicht ändern.
Während unser Baby allein zur Kinderherzintensivstation gefahren wurde (und unterwegs trotz Befürchtung nicht entführt wurde – eine weitere abstruse Fantasie einer hormongebeutelten Mutter!), gab es für uns anderes zu erledigen: Nachsorge, Check-in auf der Wöchnerinnen-Station, Großeltern informieren, Umziehen, Rollstuhl besorgen (die Kinderherzintensiv ist gute 5 Minuten zu Fuß entfernt, also wenn man schnell geht, nicht, wenn man gerade entbunden hat und immer noch so kraftlos ist, dass man sich noch nicht mal allein aufrecht hinsetzen kann). Etwa zwei Stunden später, gegen 16:30 Uhr, kam der Anruf – und wir durften endlich zu ihm.
Im Hormontaumel
Aufgeregt schoben wir zur Kinderherzintensivstation. Krankenhaus ist eh nicht so ganz meins. Und dann noch Intensivstation. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich saß in der Gefühlsachterbahn ganz vorn und zuckelte gerade den Berg hoch: Ich freute mich sososo sehr darauf, mein Kind zu sehen, zu berühren, zu streicheln und zu kuscheln – und gleichzeitig hatte ich wahnsinnige Angst davor, schlechte Nachrichten zu hören. Mein Puls lag wahrscheinlich jenseits einer gesunden Frequenz….
Wir drückten auf die Klingel vor der Station und meldeten uns an. Ein bisschen wie ein Hochsicherheitstrakt (schon mal gut, hier wird er so schnell nicht entführt!). Kurz darauf holte uns eine Schwester an der Tür ab und zeigte uns den Weg zu seinem Zimmer. Da lag er! Die Tränenschleusen öffneten sich… In einem kleinen Wärmebett am Fenster lag ein Mini-Mensch, an viel zu viele Kabel und Schläuche angestöpselt und von piependen Monitoren überwacht. Er schlief tief und fest. Ich traute mich kaum, ihn zu berühren. Ich hatte gelesen, dass manche Herzkinder ein Medikament erhalten, das sie extrem schmerzempfindlich macht und damit Berührungen unerträglich werden.
Ein Pfleger kam zu uns und erklärte sehr empathisch und ruhig, welche Untersuchungen bereits stattgefunden und welche Medikamente man verabreicht hatte. Ultraschall, Röntgen, verschiedene Medikamente, Untersuchungen durch Kinderärzte, Kinderkardiologen, Intensivmediziner… Wahnsinn! Knapp drei Stunden alt und schon so viel erlebt. Ohne uns. Was haben wir alles verpasst…
Wir stellten Fragen über Fragen und bekamen geduldig Antworten. Alle Monitore und Geräte wurden erklärt und noch einmal betont, dass diese uns nicht beunruhigen, sondern eher beruhigen sollten. Langsam wurde der kleine Tiger wach und wir durften ihn halten. Obwohl es nicht das erste Mal war, dass wir ein Neugeborenes hielten, waren wir sehr unsicher, wie wir ihn halten sollten / durften. All die Schläuche und Zugänge – bloß nirgends hängen bleiben! Die Hormone spielten verrückt. Ich war so glücklich zu hören, dass es ihm soso gut ging, gleichzeitig tat es so unglaublich weh, ihn so verkabelt zu sehen und zu wissen, was noch auf ihn wartet.
Gute Nachrichten
Immerhin gab es sehr gute Nachrichten: sein Zustand war so stabil, dass er höchstwahrscheinlich, wenn es in den nächsten Tagen so bleiben würde, in den nächsten Wochen keinen operativen Eingriff benötigen würde, sondern bis zur Korrektur-OP so durchhalten würde. Es sah also alles positiv aus. Er hatte eine stabile Sauerstoffsättigung, keine äußerlichen Auffälligkeiten und auch im Kopf und im Oberkörper sah bisher alles unauffällig auf.
Die Erleichterung war riesig. Die erste Nacht mussten wir trotzdem getrennt verbringen, aber für den nächsten Vormittag war die Verlegung auf die „normale“ Kinderherzstation geplant, auf der wir die nächsten zwei Wochen zur Kontrolle verbringen sollten. Bis spät abends blieben wir bei ihm. Mir graute vor dem leeren Wöchnerinnen-Zimmer. Womöglich mit einer Bettnachbarin, die mit ihrem Neugeborenen kuschelnd neben mir lag. Am liebsten hätte ich die Nacht auf dem Stuhl vor seinem Bett verbracht. Die Intensivschwestern baten mich jedoch sehr eindringlich, zurückzugehen und Energie zu tanken. Etwas zu essen. Etwas zu trinken. Das vergisst man tatsächlich, wenn man am Krankenbett sitzt.
Ich hatte Glück. Das Zimmer war leer. Es wartete nur ein Set mit kleinen Aufziehspritzen, mit denen ich die erste Milch sammeln sollte… sagen wir mal so – erfolgreich ist anders… Gegen 4.30 Uhr wurde eine Patientin ins Zimmer geschoben – ohne Baby. Das Kleine hatte sich viel zu früh auf den Weg gemacht und lag auf der Neo. Da lagen wir also – zwei Mütter ohne Kinder. Hellwach. Sie voller Adrenalin, ich voller Sehnsucht. Gegen halb sechs hatte ich lang genug gewartet – und ging im Schneckentempo mit schwankendem Kreislauf zu Fuß durch das menschenleere Krankenhaus.
Guten Morgen, kleines Wunder
Auf der Intensivstation war es ruhig, der Tag stand noch in den Startlöchern. Immer wieder hörte man ein Piepen aus den Zimmern – ein Geräusch, dass sicherlich alle Herzeltern (genauso wie Eltern von Kindern mit anderen schweren Krankheiten) kennen. Ich saß neben dem kleinen Bett am Fenster und beobachtete mein kleines, großes Glück, meine #kleinegroßeliebe. Er sah so perfekt aus. Ich erzählte ihm flüsternd, wie sehr wir uns auf ihn gefreut haben, wie wahnsinnig glücklich er uns macht, ich streichelte seine klitzekleinen Finger, bewunderte seine langen Wimpern, atmete seinen Duft ein und ließ seine Wärme durch meinen Körper strömen.
Ich versuchte, so viel Bonding wie möglich mit ihm nachzuholen. Aber es war Bonding auf Sparflamme. Er war verkabelt und unser Bewegungsradius war sehr eingeschränkt. Die Kabel reichten gerade bis zum Plastikstuhl, auf dem ich saß. Also nix mit Haut an Haut oder nebeneinander im Bett kuscheln. Aber immerhin lag er in meinem Arm.
Endlich zusammen!
Zur Visite musste ich die Station verlassen. Kurz darauf kam die Info, dass man ihn jetzt verlegen würde – viel früher als erwartet! Perfekt, weil wir ab dann in einem Zimmer sein würden. Und gleichzeitig traurig, weil ich wieder nicht beim Transport dabei sein konnte, denn der sei schon bestellt und könne nicht mehr warten. So schnell es ging packte ich meine Sachen und ließ mich auf eigenen Wunsch entlassen, um als Begleitperson auf der Kinderherzstation einchecken zu dürfen. Mittendrin stieß Jakob dazu – der perfekte Zeitpunkt, denn allein hätte ich meine Taschen zur noch weiter entfernten Kinderherzstation wahrscheinlich nicht tragen können.
Als wir ankamen, wartete der kleine Tiger schon auf uns. Infos, Infos, Infos prasselten auf uns ein. Kurz danach begannen die Untersuchungen. Vieles davon fand der kleine Tiger so gar nicht lustig. Blutabnahme aus dem Fuß z.B. für die Blutgasanalysen (BGA). Da einige Werte aus der Reihe tanzten, musste er diese über mehrere Tage manchmal mehrmals am Tag über sich ergehen lassen. Kurz nach der Aufnahme wurde auch noch einmal ein sehr umfangreicher Herzultraschall durchgeführt, der die Diagnose bestätigte, aber auch Hoffnung machte, weil der Gesamtzustand gut aussah. Und so ging es Tag für Tag weiter. Hier ein Screening, da ein Ultraschall, noch mal Röntgen, und immer wieder Blut, Blut, Blut….