Für Kleine. Für Große. Fürs Herz.

Hallo kleines Herz(ens)kind – die Geburt

Es geht los - oder?

Endlich waren wir auf den letzten Metern unseres Endspurts. Endlich! Aber irgendwie auch….aaahh…wirklich? Jetzt? Die Mischung aus Vorfreude, Aufregung, Ungewissheit und Angst ließ den Kopf surren.

Nachdem die Einleitung noch einmal um drei Tage verschoben wurde und auch am Vormittag die Lage im Krankenhaus noch nicht ruhiger war, bat uns die Ärztin, erst am Nachmittag ins UKE zu kommen. Es wurde ein CTG geschrieben und es fand ein Gespräch mit der Ärztin statt. Noch einmal sprachen wir über die verschiedenen Möglichkeiten der Einleitung. 

Gern wollte man es erst mit stark abführenden Hausmitteln versuchen, was ich aber abgelehnt habe, weil alles, was den Magen-Darm-Trakt aufwirbelt auch immer meinen Blutzucker aus der Bahn wirft. Und dafür hatte ich dieses Mal wirklich keinen Kopf. Ich wollte voll da sein, voll bei Kräften – und dafür brauchte ich unter der Geburt einen stabilen Blutzuckerspiegel.

Cytotech - Fluch und Segen

Also einigten wir uns (wieder) auf Cytotec. Cytotec ein Medikament, das für die Geburtshilfe offiziell nicht zugelassen ist, aber trotzdem häufig eingesetzt wird. Man spricht dann vom sogenannten Off-Label-Use. Es ist eigentlich ein Medikament zum Schutz der Magenschleimhaut, das aber als Nebenwirkung u.a. die Aktivität der Gebärmutter anregt und wehenfördernd ist. In letzter Zeit wird Cytotec vermehrt in den Medien diskutiert – und man muss sagen: zu Recht! 

Bei uns ist Gottseidank alles gut verlaufen, aber ich würde nicht noch mal darauf zurückgreifen wollen. Und weil es mich so aufgewühlt hat, werde ich dem Medikament mal einen eigenen Beitrag widmen…. (Wer sich vorher schon mal etwas schlau machen möchte, klickt einfach mal HIER…aber natürlich findet man auch andere, gegensätzliche Stellungnahmen zu dem Thema…)

Am späten Nachmittag wurde die erste Cytotecgabe verabreicht. Danach ging es für eine halbe Stunde ans CTG und dann sollten wir uns bewegen. Viel mehr als ich bewegte sich allerdings auch nicht. Nach knapp zwei Stunden wurde erneut ein EKG geschrieben, das ebenfalls keine Wehentätigkeit erkennen ließ. Einen zweiten Versuch wollte man an diesem Tag nicht mehr starten. Das war mir mehr als recht: Zum Einen hatte ich so noch Aussicht auf ein bisschen Schlaf – und zum Anderen kamen wir der 4 immer näher (wie zuvor schon mal erwähnt, ich mag die drei nicht so gern….).

Hallo 04. Mai

Am nächsten Morgen wurde schon früh ein CTG geschrieben. Alles unverändert, alles ruhig. Um halb acht kam Jakob ins Krankenhaus. Wie schon bei der ersten Geburt hatte er auch dieses Mal seinen Laptop im Gepäck. Praktisch veranlagt, wie er nun mal ist, wollte er die ggf. lange Wartezeit zum Arbeiten nutzen. Und auch er war so unglaublich aufgeregt, dass die Arbeit sicherlich sein Strohhalm war und ihm die beste Ablenkung bot.

Nach dem Frühstück gab es ein weiteres CTG, gegen 9.30 Uhr eine weitere Cytotec und anschließend noch ein CTG. Alles unverändert ruhig. Ohne etwas zu spüren, ging ich ausgiebig duschen. Mir war klar, dass das vielleicht für die nächsten zwei Wochen, die wir mindestens noch im Krankenhaus verbringen würden, die voerst letzte Dusche ohne Zeitdruck sein könnte. Während das Wasser auf mich einprasselte, merkte ich, dass sich langsam was tat. Ich spürte ein leichtes Ziehen. Immerhin schien die Wirkung dieses Mal einzusetzen.

Ich ging zurück ins Vorwehenzimmer, wo Jakob fleißig arbeitete, schnappte mir die Gala, die mir mein Göttergatte intuitiv besorgt hatte, und machte es mir im Bett gemütlich. Auf den letzten Metern des Kreuzworträtsels spürte ich ein ganz leichtes Ploppen. Kein Bierflaschenplopp, sondern einer ein sanftes, leichtes „blubb“-Ploppen. Keine zwei Sekunden später war das Bett gefühlt geflutet. Kurzer Blick auf die Uhr: 11:28 Uhr. Ich drückte die Schwesternklingel, legte den Kuli und die Gala zur Seite, lehnte mich zurück und sagte zu Jakob: „Du kannst schon mal zusammenpacken, es geht los!“

Wehenstürme - die gemeine Stiefmutter unter den Wehen

Und tatsächlich, keine drei Minuten später setzten die Wehen ein. Aber so richtig. Überraschend stark und überraschend schnell aufeinanderfolgend. Nix mit alle zehn Minuten eine leichte Woge. Die Hebamme legte mich direkt ans CTG und kam kurz darauf wieder, da sie vorn auf dem Monitor die starke Wehentätigkeit beobachtet hatte. Ich bat sie, den Kinderarzt und den Kinderkardiologen schon mal zu informieren und betonte noch mal, dass auch die erste Geburt mit 2h15min unglaublich schnell war, aber so richtig Ernst nahm sie mich glaube ich nicht. 

Zudem war auch an diesem Tag wieder Highlife auf der Geburtsstation. Ich lag noch im Vorwehenzimmer, ein Kreißsaal war gerade frei geworden, war aber noch nicht wieder bezugsbereit. Als die nächste Hebamme kam, verließ sie das Zimmer ganz schnell wieder mit den Worten, dass sie jetzt aber mal fix den Kreißsaal vorbereiten würde.

Währenddessen wurden die Wehen immer intensiver, die Abstände immer kürzer. Es rollte einfach über mich herüber. Ich fragte nach Schmerzmitteln. Aber dafür hatte gerade niemand Zeit. Die Hebamme fragte mich, ob ich noch in den Kreißsaal gehen könne. Ähm…nee, konnte ich nicht. Während das Bett über den Flur rollte, kam die nächste Welle. Ich drückte irgendeine Hand. Dieses Kind hatte es scheinbar wahnsinnig eilig.

AUfgeben ist keine Option

Der Kreißsaal war vorbereitet, aber es fehlte scheinbar noch einiges. Immer wieder kam jemand, brachte Tücher, Handtücher oder medizinisches, plastikverpacktes Wasauchimmer. Immer wieder liefen verschiedene Hebammen ins und aus dem Zimmer und immer wieder waren wir allein. Zwischendrin fragten wir wieder nach, ob die Ärzte informiert seien. Und ob es Schmerzmittel gäbe. Irgendwas. Gerade als die Hebamme wieder gehen wollte, kam die nächste Wehe. Ich nahm ihre Hand und flehte sie an, dass sie uns jetzt nicht allein lassen dürfe. Heute muss ich beim Gedanken daran lachen, weil es wie aus nem schlechten Titanic-Abklatsch wirkt. Aber in dem Moment hatte ich solche Angst, weil die Wehen mit einer unberechenbaren Wucht kamen. 

Diese Schmerzen waren so viel intensiver als bei der ersten Geburt, noch dazu war der psychische Stress unheimlich groß. Innerlich hatte ich diese riesige Angst, dass jetzt auf den letzten Metern noch etwas schief gehen könnte. Dass es ihm doch nicht so gut geht, wie gedacht. Dass wir ihn anschauen und sehen – oh nein, da ist was nicht in Ordnung. Oder noch schlimmer – das er die Geburt nicht überlebt. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Die letzte Wehe war so lang, so schmerzhaft und so intensiv, ich hatte Angst, für die nächste Wehe keine Kraft mehr zu haben. Ich hatte wirklich das Gefühl, nicht mehr zu können. Also wirklich nicht. 

Heulend sagte ich zur Hebamme und zu Jakob „Ich schaff das hier nicht. Ich kann nicht mehr.“ Genauso fühlte es ich nämlich an. Ich fühlte mich komplett kraftlos. Ich konnte nicht mal mehr mein Bein allein anheben oder mich mit den Armen in den Sitz drücken. Mein ganzer Körper zitterte. Ich fühlte mich ohnmächtig. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Und das machte mir Angst. Aber seien wir ehrlich:  „Ich schaff das nicht“ – ist nun mal keine Option bei ner Geburt…

Endspurt!

Mittlerweile war es 13.15 Uhr. Die Hebamme ging und besorgte Schmerzmittel. Es ging gut voran, der Muttermund war auf 5cm. Eine Lernschwester blieb bei uns. Der Druck wurde immer größer. Nach wenigen Minuten kam die Hebamme mit dem Schmerzmittel. Ich sagte ihr, dass ich wüsste, dass es zwar eigentlich nicht sein könne, aber dass ich das Gefühl hätte, pressen zu müssen. Sie schaute nach. Das Gefühl war richtig. Sie gab schnell noch das Schmerzmittel über den Zugang, meinte allerdings mit einem Zwinkern, dass es mir bei dieser Geburt wahrscheinlich nicht mehr helfen würde, da das Kind wahrscheinlich da sei, bevor die Wirkung eintreten würde.

Und dann ging alles ganz schnell.

Hallo kleines, perfektes Wunder

Minuten später war unser zweites kleines Wunder da. Aber mein Schreck war riesengroß: vom Kopf bis zum Bauch und zu den Händen war er blau-lila. Jakob behauptet, er sei es nicht gewesen. Mich verfolgt dieses Bild aber noch jetzt manchmal in meinen Träumen. Ich bin mir sicher, er war es. Und er schrie nicht. Vielleicht waren es nur nano-Sekunden, aber es fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit. Super-Slo-Mo. Dann endlich: er schrie und nach und nach wich die blaue Farbe langsam aus dem Gesicht. Entgegen aller Vorhersagen legte man mir das Baby auf die Brust. Ich konnte mein Glück nicht fassen. 

Dieses kleine Wesen war perfekt. Er war groß und stark. Mit 54cm und 3760g sah er überhaupt nicht nach einem herzkranken Baby aus. Innerlich sprudelte ich über vor Glück. Und vor Liebe. Jakob machte schnell ein paar Fotos (auf denen das Gesicht immer noch unverkennbar lila schimmert, und zwar ohne Filter! Also von wegen nix gewesen…) und schon war unser erstes Kennenlernen vorbei. Die Ärzte warteten für den großen Check-up und danach ging es direkt auf die Kinderherzintensivstation, wo die ersten Ultraschalle und Röntgenbilder vorgenommen werden sollten.

Die NAchteile der Einleitung

Während ich versorgt wurde, setzten die Nachwehen ein. Während auch diese bei der ersten Geburt nur leicht waren, war es dieses Mal…sagen wir mal…kein Zuckerschlecken. Immerhin fing das Schmerzmittel bald an zu wirken. Aber ich war so unglaublich kraftlos. Ich zitterte immer noch am ganzen Körper, meine Beine und Arme zitterten unkontrolliert, ich konnte sie nicht mal mit größter Anstrengung stillhalten. Meine Zähne klapperten aufeinander. Ich hatte noch nicht mal genügend Kraft, sie zusammenzuhalten.

Erst im Nachhinein, als ich mich mehr mit Cytotec als Off-Label-Medikament beschäftigt habe, wurde mir bewusst, wofür diese harmlos aussehende Tablette scheinbar verantwortlich sein konnte. Für die Wehenstürme, die über mich hereinbrachen und die mir streckenweise die Kraft (und fast auch den Verstand) raubten, wahrscheinlich ebenso wie für die heftigen Nachwehen. Und damit hatte ich, was die möglichen Nebenwirkungen des Medikamentes angehen, immer noch Glück gehabt.  

Klar ist eine schnelle Geburt ein Traum. Wer möchte schon länger als es sein muss in den Wehen liegen. Aber dieses Geburtstempo war für uns alle zu schnell. Die Hebamme meinte anschließend, die bläuliche Verfärbung des Tigers (sie hat es also auch gesehen…) könne auch darin begründet sein, dass er so schnell in den Geburtskanal gerutscht war und dort drückte und drückte, aber nicht weiterkam, weil mein Körper anfangs noch gar nicht geburtsbereit war.

Unverhofftes Wiedersehen

Nach etwa einer halben Stunde öffnete sich die Tür und die Hebamme stand mit einem Baby im Zimmer. Mit unserem. Wir sahen sie fragend an und ehrlich gesagt keimte in dem Moment in mir die Hoffnung, dass es alles nur ein großes Versehen und der Tiger kerngesund war.

Leider war lediglich der Baby-Transport noch nicht da und damit er nicht auskühlt bzw. allein in der Babybox liegt, durften wir kuscheln, bis die Herren kamen. Was für eine fantastische Überraschung!

Schon jetzt hatte er einen Zugang am Kopf, das erste Medikament war schon gegeben. Keine Stunde alt und schon ein Zugang! Es brach mein Herz. Etwa zehn Minuten Familienzeit hatten wir. Bonuszeit. Ein großes Geschenk. Dann kam der Babytransport, der ihn auf die Kinderherzintensivstation brachte. Niemand durfte mit. Sobald er „angestöpselt“, geschallt, geröntgt und noch einmal ausgiebig untersucht worden war, würde man uns anrufen.



1 thought on “Hallo kleines Herz(ens)kind – die Geburt”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert