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GDF1 – Der Gendefekt hat einen Namen

GDF1 - Growth Differentiation Factor 1

Nachdem die ersten Ergebnisse keine Auffälligkeiten nachweisen konnten, warteten wir auf die letzten Untersuchung. DNA-Extraktion, PCR-Amplifikation, Sequenzierung. WTF? Google lief heiß! Wahnsinn, welche Möglichkeiten Forschung und Wissenschaft mittlerweile haben…

Ende Januar kam er dann – der letzte Anruf. Zumindest hatten wir gehofft, dass es der letzte sei. Und bäääähm – da war er, der Gendefekt! Jetzt war es offiziell – es wurde ein Gendefekt nachgewiesen. Der Boden öffnete sich erneut. Fragen explodierten in meinem Kopf. Aber die Humangenetikerin beruhigte und erklärte, was sie herausgefunden hatten. 

GDF1 – Growth Differentiation Factor 1. Das ist der Name des Gendefekts, der bei der molekulargenetischen Mutationsanalyse entdeckt wurde. Er sei den Genetikern zwar bekannt, sei unter den Gendefekten aber noch eher unerforscht. In einer Studie von 375 Patienten mit verschiedensten angeborenen Herzfehlern wurde der GDF1 bei einer (1!) Person nachgewiesen. Man geht davon aus, dass sie bei dieser Person mit hoher Sicherheit die molekulare Ursache des Herzfehlers ist – in diesem Fall die TGA (Transposition der großen Arterien).

Für eine bessere Interpretation der Ergebnisse, würde man gern auch das Blut der Eltern untersuchen. 

Gesagt, getan. Mein Blut lag noch vor, Jakob gab seines direkt am nächsten Morgen ab. Drei Wochen später dann der nächste Anruf. 

Und schon sind wir zwei...

Und wieder ein kleiner Schock: auch bei mir wurde der Gendefekt nachgewiesen. Ich war nicht geschockt, weil ich den Gendefekt habe, sondern, weil mein erster Gedanke war, dass ICH ihn weitergegeben habe. Dass es meine Schuld ist, dass der Tiger einen Herzfehler hat. Die Humangenetikerin versuchte, zu erklären. Bei mir konnte der Defekt nur auf einem Allel festgestellt werden, beim Tiger auf zwei Allelen. Das würde heißen, um den Gendefekt weiterzugeben, hätte Jakob ihn ebenfalls auf einem Allel in sich tragen müssen. Das ist aber nicht der Fall.

Später hieß es im Gutachten: 

Die vergleichende Analyse polymorpher DNA-Marker aus der fetalen Probe und dem Maternalblut ergab keinen Hinweis auf eine maternale Kontamination der fetalen DNA.

Im zweiten, ausführlichen Gutachten stand dann:

Mutationen, die nur auf einer von beiden Genkopien liegen, werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% an Nachkommen vererbt.

Für mich war damit klar, dass ich den Defekt weitergegeben habe, dass alles, was jetzt auf den kleinen Mann zukommen wird, meine Schuld ist. Dass es meine Schuld ist, dass er kein „normales“ Leben wie andere gesunde Kinder haben wird. Dass es meine Schuld ist, dass er einen oder eventuell sogar mehrere große Eingriffe über sich ergehen lassen muss. Und dass auch alle Konsequenzen, die der Herzfehler für ihn und sein Leben haben wird, meine Schuld sind. Auch nach Gesprächen mit weiteren Humangenetikern, die ebenfalls davon ausgingen, dass es eine Spontanmutation sei, sind diese Schuldgefühle noch präsent.

WAS GENAU IST GDF1?

Studien gehen davon aus, dass das GDF1-Gen bei der Embryogenese (der biologische Prozess, der zur Bildung des Embryos führt – er beginnt mit der Befruchtung der Eizelle und dauert etwa 8 Wochen) eine Rolle beim left-right-patterning (der Seitenaufteilung) spielt. Wenn die Funktion des Proteins, für das das GDF1-Gen kodiert, eingeschränkt ist, kann es zu Fehlbildungen des Herzens kommen. Oftmals seien angeborene Herzfehler jedoch multifaktorielle Erkrankungen, d.h. man gehe davon aus, dass komplexe Fehlbildungen häufig durch eine Kombination seltener Mutationen, externer Umwelt- und genetischer Faktoren entstehen. Die bisherigen Studien haben zudem gezeigt, dass Patienten mit GDF1-Mutation keinen Hinweis auf zusätzliche Symptome aufweisen. 

Immerhin – am Ende gibt es wenigstens noch eine Portion Hoffnung. 

Aber natürlich gibt es bei wenig analysierten Gendefekten auch unterschiedliche Annahmen. So gibt es eine weitere Hypothese, die davon ausgeht, dass nur das Vorliegen von compound-heterozygoten Mutationen (also von zwei verschiedenen Mutationen, die jeweils auf einer der beiden Genkopien liegen) zum Auftreten eines Herzfehlers führen. Das ist allerdings beim Tiger nicht der Fall. Wenn diese Theorie also korrekt wäre, wäre der Gendefekt an sich gar nicht die Ursache des Herzfehlers.

Aufatmen? Nicht wirklich...

Fragezeichen, Fragezeichen, Fragezeichen. Und auch die Humangenetik kann keine 100%ige Aussage treffen. Ob der Gendefekt wirklich die Ursache für den Herzfehler ist, ist unklar. Ob der Gendefekt vererbt wurde, ist ebenfalls unklar. Klar ist nur, dass unser Kind einen Herzfehler hat und für uns nach allen Untersuchungen die Hoffnung besteht, dass es sich dabei um einen isolierten Herzfehler handelt und keine weiteren Einschränkungen zu erwarten sind. Es gibt keine Garantie, aber es darf gehofft werden. 

Vor uns lagen noch gute drei Monate bis zum Entbindungstermin. Die Hoffnung kehrte langsam zurück, aber gleichzeitig blieben die Ungewissheit und die Angst. Das Warten ging weiter…



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