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Warten auf die Humangenetik – Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Warten, warten, warten...

Nachdem wir am Folgetag der Diagnose die Amniozentese durchführen ließen, begann das lange Warten. Glücklicherweise kam direkt am Nachmittag schon das Ergebnis des ersten – und für uns vielleicht wichtigsten – Tests, nämlich der pränatale Trisomie-Schnelltest. Seitdem die Genetikerin am Morgen erklärt hatte, dass Kinder, die sowohl vom Fallot als auch von einer Form der Trisomie betroffen sind, oft schwerst körperlich und geistig behindert seien und in manchen Fällen nicht einmal die Schwangerschaft oder die ersten Lebenstage überstünden, kreisten meine Gedanken um nichts anderes.

„Haben Sie schon über einen Spätabbruch nachgedacht?“

Spätabbruch. 

Wie ein schlechter Ohrwurm donnerte dieser Satz immer wieder durch meinen Kopf und wollte einfach nicht gehen. Noch immer bewegte die Welt sich in Zeitlupe, alle Gedanken schwebten in Wattewolken, es rauschte, brannte, nicht nur der Kopf, sondern der ganze Körper tat weh. So in etwa muss es sich nach einer Geraden von Wladimir Klitschko anfühlen. Diese eine Frage stellt einen der traumatischsten Augenblicke unserer Herzgeschichte, eigentlich meines Lebens da. Ohne Pathos. Ohne Theatralik. Ohne Rührseligkeit. Diese Frage machte uns klar, was die Diagnose für uns im schlimmsten Fall bedeuten könnte. Aber sie brachte noch mehr Ungewissheit, noch mehr Angst. Wie soll man so eine Entscheidung treffen? Wie soll man sich gegen sein Kind entscheiden? Wieso soll man ein Kind überhaupt verlieren müssen?

Verzweiflung, Ungewissheit, Hoffnung

Aber zurück zum Trisomie-Schnelltest: Das Ergebnis war negativ – also positiv für uns! Die Chromosomenanalyse hatte keinerlei Auffälligkeiten erkennen lassen, eine Trisomie 13, Trisomie 18 oder Trisomie 21 sei damit auszuschließen. Die Erleichterung war riesengroß. 

Natürlich gab es auch hier den Nachsatz, dass eine 100%ige Gewissheit natürlich nicht gegeben sei. Auch wenn mein Kopf gehört hatte, dass die erste Untersuchung ein gutes Ergebnis hervorgebracht hat, war die Angst immer noch riesig. Etwas kleiner vielleicht, aber es gab ja noch so unendlich viele andere Gendefekte, die entdeckt werden könnten. Und was die wiederum bedeuten könnten, wurde nur kurz angedeutet. Alles kann, nichts muss…

Immer wieder klingelt das Telefon

Zwischen Weihnachten und Neujahr kam die nächste Rückmeldung. Das Schlimme an den Anrufen der Humangenetik – sie kommen unangemeldet und erwischen einen eiskalt. Wir steckten mitten im Umzug und ich war mit meinem Vater zu IKEA gefahren, um die letzten Dinge zu besorgen. Da standen wir also – mit gefühlt 1000 anderen Leuten, die die freien Tage zwischen den Feiertagen nutzten, zwischen den hohen Abholregalen und suchten Schrankgriffe aus, als das Telefon klingelte. Mein Herz raste und meine Ohren rauschten, als ich den Anruf annahm. 

Ein Teil der Informationen war schwer zu erfassen – was sowohl an der Lautstärke um mich herum als auch an den Fachbegriffen lag, die auf mich herunterprasselten. Aber ich hatte verstanden, dass es auch dieses Mal keinen Hinweis auf eine Auffälligkeit gab. Keine Deletion in der Region 22q11.21. DiGeorge-Syndrom. CATCH22. Velo-cardio-faciales Syndrom. Ich schrieb fleißig mit – mit meinem kleinen IKEA-Bleistift. Bei der Beschreibung der durchgeführten Methodik, was da wie und wo semiquantitativ und simultan amplifiziert wurde, verlor sie mich. Ich hörte nur noch zu und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wieder ein bisschen mehr Hoffnung. Wieder ein Stückchen Unsicherheit weniger.

Am Ende machte sie mir Mut, dass hiermit die beiden häufigsten Auffälligkeiten ausgeschlossen seien und wir weiterhin darauf hoffen können, dass es sich um eine isolierte Spontanmutation handelt. Die nächsten Ergebnisse würden jetzt auf sich warten lassen. Kurz darauf erhielten wir unser erstes „humangentisches Gutachten zur molekulargenetischen Pränatal-Diagnostik“. Mit dem durchgeführten Test wurden die 25 am häufigsten betroffenen Genorte untersucht, die für 90% aller DiGeorge-Syndrom-Fälle verantwortlich sind. Bäng! Also noch n ziemliches „Restrisiko“…oder? Es gab keinen Hinweis, aber man hatte auch nur die Orte untersucht, in denen die meisten Unauffälligkeiten auftreten, was ist mit den Genorten, an denen die anderen 10% der Fälle auftreten? 

Einsteigen und festhalten bitte, das Gedankenkarussel startet jetzt… 

Die Suche geht weiter

Mitte Januar erhielten wir den nächsten Anruf. Dieses Mal lagen die Ergebnisse der Array-CGH vor. Sehr verständlich beschrieben wird die Methode in einem Flyer des Genetikums aus Neu-Ulm: 

„Die array-CGH kann nur in Kombination mit der Fruchtwasserpunktion oder der Chorionzottenbiopsie durchgeführt werden. Aus einem Teil der bei diesen Untersuchungen gewonnenen Zellen des Kindes wird die Erbsubstanz (DNA) isoliert, mit einem grünen Fluoreszenzfarbstoff markiert und zusammen mit der rot markierten DNA einer Kontrollprobe auf einen array-Objektträger aufgebracht, auf dem sich mehrere hunderttausend definierte DNA- Fragmente der Chromosomen befinden. Beide Proben binden an diese DNA-Fragmente. Mit Hilfe eines Scanners werden ihre Fluoreszenzsignale anschließend gemessen. Sind diese gleich intensiv, liegt ein Normalbefund vor. Ist an einer Stelle überwiegend die Kontrollprobe nachweisbar, liegt hier eine Deletion vor. Überwiegt das Signal der Patientenprobe an einer Stelle, liegt dort ein Zugewinn vor.“ 

Die Ergebnisse aus dieser Untersuchung bekommt man in der Regel nach ca. 4 Wochen, da die entnommene Zellkultur vor der Analyse kultiviert wird. Auch hier gab es keine auffälligen strukturellen Veränderungen im Genom der kultivierten Zellen.  

Die letzte noch ausstehende Untersuchung war die NGS-Paneldiagnostik. Und boom! Da war er – der Gendefekt!

To be continued….



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