Für Kleine. Für Große. Fürs Herz.

Kurz vor der OP: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Es wird ernst!

Direkt mit der Diagnose „Fallot-Tetralogie“ wurde uns mitgeteilt, dass die „große“ Korrektur-OP zwischen dem 4. und dem 6. Lebensmonat stattfinden wird, für uns also irgendwann im September oder Oktober 2017.  OMG – wie klein wird er dann noch sein? Und sein Herz erst! Das Herz eines Menschen ist immer in etwa so groß wie seine Faust. Das bedeutet mit vier Monaten….MINI! Und obwohl wir wussten, dass dieser Eingriff auf uns zu kommt und die einzige Option sein wird, dem Tiger ein normales Leben zu ermöglichen, konnte ich mich mit dem Gedanken weder anfreunden noch vertraut machen. Ich hatte einfach eine wahnsinnige Angst. 

Es gibt sie wirklich, die lähmende Angst. Sie hat nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist gelähmt. Blockiert. Ich lebte in unserer eigenen kleinen Blase. Und in dieser Blase gab es zu viele Tränen, zu viel Angst, zu viel Verzweiflung, zu viele was-wäre-wenns. Ich habe gefühlt ein Planschbecken voller Tränen vergossen, habe unzählige Nächte wachgelegen, die Zeit mit beiden Kindern eingesogen und gehofft, dass uns viel Zeit geschenkt wird.

Im August hieß es bei unserer Kontrolluntersuchung, man würde „unseren Fall“ jetzt mal mit in die große Konferenz nehmen, was bedeutet, dass unser Fall einem Kreis von Herzexperten (Kardiologen, Herzchirurgen etc.) präsentiert und dann entschieden würde, wann die OP anberaumt wird. Kurz darauf erhielten wir einen Anruf und uns wurde der 2. Oktober als OP-Termin mitgeteilt. Bei mir (in diesem Fall Typ überbesorgte Heli-Mama!) gingen aus verschiedenen Gründen die Alarme an. Das neue Kinder-UKE stand kurz vor der Eröffnung und die Kinderherzstation sollte in der 2. Septemberhälfte umziehen. Was, wenn nicht alles rechtzeitig über die Bühne gehen würde? Sind dann wirklich alle Sachen da, die man im Notfall braucht? 

Natürlich ist mir klar, dass die Klinik dieses alles sicherstellen würde, aber diese was-wäre-wenns und ich waren in den vergangenen Monaten ziemlich beste Freunde geworden. Dazu ist der 3. Oktober ja bekanntlich ein Feiertag. Vielleicht war der Herzchirurg am Vortag schon in Gedanken in seinem verlängerten Wochenende? Und was, wenn am Tag nach der OP, also am Feiertag, Komplikationen auftreten würde? Man hatte uns bereits darüber informiert, dass die ersten 48-72 Stunden noch mal kritisch sein könnten…. Würde dann jemand da sein? Oder nur eine Notbesetzung? 

An dieser Stelle muss ich einschieben, dass wir vor Ort immer das Gefühl hatten, dass zu jedem Zeitpunkt genügend Ärzte (und auch die richtigen!)  anwesend gewesen wären.

 

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Am Ende waren alle Gedanken völlig überflüssig, denn zwei Wochen vor dem OP-Termin bekamen wir erneut einen Anruf mit der Info, dass die Korrektur um zwei Wochen verschoben werden müsse. Scheinbar gab es tatsächlich Verzögerungen beim Umzug. Neuer Termin war jetzt Montag, der 16. Oktober.

Am Freitag, den 13. Oktober (jaja, ich weiß!!!) fuhren wir morgens ins UKE, um alle Vorgespräche wahrzunehmen und die letzten Untersuchungen durchführen zu lassen. Schon während wir im Wartezimmer auf der Kinderherzstation saßen, kam eine der Stationsärztinnen zu uns und teilte uns mit, dass die OP aufgrund eines Notfalls noch einmal um zwei Tage verschoben werden müsse. WTF! Was? Das war… irgendwie unbeschreiblich. Irgendwie eine Erleichterung. Gefühlt hatten wir noch einmal zwei Tage gewonnen, sollte etwas Schlimmes passieren. Und gleichzeitig ging der Nervenkrimi in die Verlängerung. Noch mal zwei Tage warten. 

Tränen stiegen in mir auf. Eigentlich gab es dafür keinen Grund, denn ich wusste, dass das immer passieren kann und dass man froh sein sollte, dass das eigene Kind nicht der Notfall ist, sondern das Kind, dessen OP glücklicherweise verschoben werden kann. Aber in diesem Moment war ich irgendwie erleichtert, enttäuscht und genervt zugleich. Ich war emotional so in der Situation gefangen, dass der erneute Aufschub für mich Stress bedeutete, den es eigentlich nicht hätte bedeuten müssen. Wahrscheinlich war es in dem Moment einfach eine Mischung aus abfallender Anspannung und totaler Überforderung. 

Ob es tatsächlich ein Notfall oder einfach akuter Personalmangel war, der Grund für den Aufschub war, haben wir nie erfahren. Immer wieder liest man bei Herz-OPs von kurzfristigen Absagen. Und natürlich nimmt man diese in Kauf. Aber man muss auch sehen, was so ein neuer Termin an Organisation für Eltern bedeuten kann. Gerade, wenn man eine lange Anreise, vielleicht noch Übernachtungen für eine zweite Begleitperson organisiert hat und womöglich auch die Großeltern eingespannt hat, die sich ggf. ebenfalls Urlaub genommen haben, um sich um die Geschwisterkinder zu kümmern,  ist ein neuer Termin mit viel Aufwand verbunden. 

Wir hatten das Glück, dass die kleine Krabbe „Urlaub bei Oma und Opa“ machen durfte und diese sehr flexibel auf jeden Termin hätten reagieren können. Und auch Jakobs Arbeitgeber war sehr verständnisvoll und er konnte seinen Urlaub spontan am Freitag noch umlegen.

Die AUfklärungsgespräche - Kopfkino an!

Die Aufklärungsgespräche fanden trotzdem statt. Beim Gespräch mit der Anästhesistin wurde mir wahnsinnig schlecht. Je mehr sie erzählte, desto mehr rauschte der Puls in meinen Ohren. Mein Kreislauf drehte sich, ich schwitzte. Der Tiger lag an mich gekuschelt auf meinem Schoß und schaute sie an, während sie uns erklärte, wie man den ZVK (zentralen Venenkatheter) am Hals in die Vene einführen und bis direkt vors Herz schieben würde. Bähm! Dass wir uns nicht wundern sollten, sollte der Tiger nach der OP blaue Flecken an Händen und Füßen haben, weil man manchmal bei so kleinen Patienten mehrere Versuche für einen Zugang benötigen würde. Manchmal würde es allein 45 Minuten brauchen, bis der Zugang gelegt sei. WTF! 

Was für eine Vorstellung. Da liegt der Tiger eventuell 45min allein bei wildfremden, maskierten Menschen, die ihn festhalten und pieksen? Bekommt er vorher schon etwas zur Beruhigung? Was, wenn nicht? Natürlich war es die Aufgabe der Anästhesistin, uns über mögliche Risiken aufzuklären, aber diese alle so geballt zu hören… es klang wie ein Alptraum! Und am Ende hatte man eh keine Chance, und musste den mehrseitigen Aufklärungsbogen mit den schlimmsten Szenarien unterschreiben, weil nur diese OP ihn retten konnte. Wir stellten viele Fragen, hatten aber immer noch viele, nachdem das Gespräch beendet war.

Gespräch mit der Herz-Chirurgin

Als nächstes sprachen wir mit der Herzchirurgin, die ein Teil des OP-Teams war. Insgesamt würden drei Herzchirurgen die Fallot-Korrektur vornehmen, am Ende würde noch einmal ein Kinderkardiologe hinzugezogen werden, der mittels Ultraschall überprüfen würde, dass alle Defekte, die behoben werden sollten, auch behoben worden sind. Sie erklärte uns die einzelnen Schritte der OP sehr genau, sehr einfühlsam, sehr ruhig. Es wurde nichts dramatisiert, aber auch nichts heruntergespielt. Mein Kreislauf hatte es an diesem Tag nicht leicht. Noch immer rauschte es in den Ohren, der Kopf war in Watte, der Schweiß lief. Die Tränen auch. 

Der Tiger saß auf meinem Schoß und hörte ihr mit großen Augen zu. Sie erklärte uns, wie der Schnitt am Brustkorb gesetzt, wie man diesen aufklappen und in der gewünschten Position arretieren würde. Wie die Herz-Lungen-Maschine funktioniert. Wie man sein Herz stoppen und später wieder in Gang setzen würde. Das Zimmer drehte sich immer schneller um mich. Ich versuchte, einen Punkt zu fixieren, weil ich merkte, dass es jetzt wirklich knapp wurde, bevor mein Kreislauf sich gänzlich verabschieden würde. Wir wurden über die Gefahren einer Bluttransfusion aufgeklärt und wieso wir als Eltern als Blutspender nicht in Frage kommen. 

Sie zeigte uns noch einmal genau auf, was man wo am Herzen korrigieren würde. Erklärte, dass der Brustkorb in seinem Alter noch mit einem Faden und nicht mit einem Draht verschlossen würde (Endlich mal was positives!). Erläuterte, wie die Narbe genäht werden würde. Und warnte, dass der Anblick nach der OP erst einmal erschreckend sein könne, weil verschiedene Schläuche, Kabel und Drainagen in den bzw. aus dem Körper führen und der kleine Tiger wahrscheinlich ordentlich Wasser einlagern würde. Auch mögliche Komplikationen bis hin zu Nervenverletzungen, bleibenden Hirnschäden oder im schlimmsten Fall der Tod wurden besprochen. Niemandem, wirklich niemandem wünsche ich ein solches Gespräch. 

Sie erklärte uns, dass die OP häufig nach 4-6 Stunden beendet sei. Wir waren für 7.30 Uhr eingeplant, sollten aber nicht ab 12 Uhr mit einem Anruf rechnen, weil man immer erst dann anriefe, wenn der Patient verschlossen und umgelagert sei – und quasi schon auf dem Weg zur Kinderherzintensivstation. Das könne, wenn ihn von dort z.B. gerade niemand abholen könne, auch mal eine Stunde dauern. Sie versicherte uns aber, dass sich dann das OP-Team weiterhin sehr gut um den Tiger kümmern würde. Auch, wenn wir viele beunruhigende Szenarien zur Korrektur selbst und zu mögliche Komplikationen erhielten, machte die Chirurgin einen solch ruhigen und kompetenten Eindruck, dass wir uns gut aufgehoben fühlten. Auch hier mussten wir wieder einen mehrseitigen Aufklärungsbogen unterschreiben – und auch hier fühlte es sich einfach überhaupt nicht gut an. 

Warten - die Verlängerung

Wir fuhren mit wackligen Beinen, schweren Herzen und der Aussicht auf fünf weitere Tage Warten nach Hause. Am Dienstag sollten wir am späten Nachmittag auf der Station einchecken, dann würden die letzten Blutwerte bestimmt und die letzten Vorbereitungen getroffen werden. Endspurt!



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