Für Kleine. Für Große. Fürs Herz.

Endlich auf der anderen Seite: Zurück aus dem OP

10 STUNDEN SPÄTER...

Endlich durften wir auf die Kinderherzintensivstation.10 Stunden hatten wir den Tiger nicht gesehen. Ich war so wahnsinnig aufgeregt. Draußen wurde es schon wieder dunkel, auf der Kinderherzintensivstation brannte gedimmtes Licht. Wir wurden zu seinem Zimmer geführt. Sein viel zu großes Bett stand allein in einem viel zu großen Zimmer. Eine Arzt und eine Ärztin lehnten an der Fensterbank und sprachen leise miteinander.

Da lag er. Und atmete. Niemand, wirklich niemand kann einen auf diesen Moment vorbereiten. Ein Bild, in dem nichts war wie es eigentlich sein sollte. Ein viel zu kleines Kind in einem viel zu großen Bett, überall vom Körper gingen Schläuche und Kabel ab, um ihn herum standen zwei Perfursor-Bäume mit über 15 verschiedenen Medikamenten, zwei Monitore zeigten die Vitalfunktionen an. Daneben das Beatmungsgerät. Im und am Bett lagen und hingen Geräte, Kabel, Beutel. Und mittendrin unser kleiner Tiger.  War das wirklich meine fröhliche, strahlende Knutschkugel?

Seine Augen waren mit einem Tuch abgedeckt, um ihn vom Licht im Zimmer abzudunkeln. Er war noch intubiert und wurde über einen dicken Schlauch in der Nase beatmet. Zwei dicke Pflaster, einer über der Nase und einer zwischen Nase und Mund, hielten den Schlauch in Position. Sein kleiner und sonst so schmaler und zarter Körper war wahnsinnig aufgeschwemmt, die Arme, Beine, Hände und Füße hatten viel Wasser eingelagert. Zwischen Hals und Schulter hatte man den zentralen Venenkatheter (ZVK) gelegt. Das war mal ein ordentlicher Zugang. An ihm dran ein halber Kabelbaum. Und der führt bis vors Herz? Noch heute wird mir bei der Vorstellung ganz anders… 

ZUGÄNGE, KABEL, DRAINAGEN, SCHLÄUCHE....

Viele der Medikamente wurden über den ZVK gegeben, deshalb lag rund um den Kopf ein riesiges Kabelgewirr. An den Füßen und Händen hatte er Verbände und Pflaster. Lediglich sein linker Arm war nicht verbunden – dort war allerdings der Handrücken zerstochen. Wahrscheinlich hatte man vergeblich versucht, einen Zugang zu legen. Jetzt hatte er am rechten Handgelenk einen Zugang, am rechten Fuß einen weiteren. Am linken Fuß hatte man es ebenfalls versucht, ein Verband ließ erahnen, dass es weniger erfolgreich war. Am Zeh leuchtete das kleine rote Licht, das die Sauerstoffsättigung kontrollierte. An der Wade wurde kontinuierlich der Blutdruck gemessen. Am Rande der Windel konnte man das Pflaster erkennen, mit dem der Blasenkatheter fixiert war.

Mitten auf der sonst so schmalen Brust klebte eine große, weiße Wabe. Oben konnte man den Ansatz der Narbe erkennen. Am unteren Ende kamen zwei dicke Drainagen aus dem Brustkorb, die die Wundflüssigkeit abtransportierten. Die Beutel hingen schon recht gut gefüllt am Bett. Neben den Drainagen führten auch zwei ganz feine Kabel in den Brustkorb – das war der externe Schrittmacher. Falls das Herz Komplikationen aufweisen sollte, konnte man so schnell reagieren.

SO FÜHLEN SICH WUNDER AN

Es reißt einem das Herz in 1000 Stücke, wenn man sein Kind an so viele Geräte angeschlossen regungslos in einem riesigen Bett liegen sieht. Wir hätten ALLES dafür gegeben, dem Tiger diesen Tag zu ersparen, mit ihm zu tauschen. Es war ein furchtbarer Anblick. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, Teil eines kleinen Wunders zu sein. Dass ein so kleiner Körper einen solch wahnsinnigen Eingriff übersteht! Und dass es Menschen gibt, die so filigran und präzise, stundenlang hochkonzentriert und fehlerfrei arbeiten. Das alles war irgendwie ein Wunder. Vor 50 Jahren wäre diese Geschichte für uns noch anders ausgegangen…

 

Die Ärzte informierten uns leise über seinen Zustand und auf was man in den kommenden Stunden und Tagen besonders achten würde. Da die OP nun doch um einiges länger gedauert hatte als geplant, hatte man beschlossen, den Tiger über Nacht weiterhin zu beatmen, um seinem Herzen noch ein wenig mehr Erholung zu gönnen. Er war weiterhin stark sediert, um dem die Körper die Ruhe zu geben, die er jetzt brauchte. Die Temperatur war etwas erhöht, aber die anderen Vitalfunktionen waren stabil. Die Ärzte waren sehr zufrieden mit dem Ergebnis, wiesen uns aber auch noch einmal darauf hin, dass die nächsten 48-72 Stunden wie bei jeder OP kritisch seien.

GUTE NACHT

Wir setzten uns an sein Bett – zwar immer noch unendlich besorgt und voller Angst, aber die Erleichterung, endlich „auf der anderen Seite der OP“ zu sein und den kleinen Tiger lebend wieder bei uns zu haben, war riesig. Bis kurz vor Mitternacht blieben wir bei ihm, hielten seine kleinen, geschwollenen Hände und beobachteten ihn dabei, wie er schlief. Ab und zu zuckte mal ein Finger, mehr Lebenszeichen gab es heute nicht.

Gegen Mitternacht gingen wir ins Baumhaus. Jetzt kickte die Müdigkeit richtig ein. Wir riefen noch einmal auf der Intensivstation an und fragten, ob alles okay sei. Völlig k.o. schliefen wir ein. Sechs Stunden am Stück. Sechs Stunden! Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so lang ununterbrochen geschlafen hatte. Auf jeden Fall lang, lang vor der Geburt. 

Wir riefen noch aus dem Bett auf der Station an und fragten nach dem Tiger. Er hatte eine komplikationsfreie Nacht, schlief immer noch und wartete auf die Visite. Solange war keine Besuchszeit. Wir frühstückten schnell und warteten dann vor der Station, bis wir endlich wieder zu ihm durften.



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