Für Kleine. Für Große. Fürs Herz.

Die Nacht vor Tag X: Check-In auf der Kinderherzstation

ZWEI BONUSTAGE ZUHAUSE

Nachdem der OP-Termin kurzfristig noch einmal um zwei Tage verschoben worden war, spielten die Emotionen verrückt. Am Sonntag wurde die kleine Krabbe von den Großeltern abgeholt. Sie freute sich riesig auf ihren Urlaub. Es gab zwar zum Abschied ein paar Tränen, aber schon an der nächsten Ecke überwog wohl die Vorfreude und sie plapperte munter drauf los. Wie beruhigend. Aber es war hart. Zu der Angst um den Tiger kam die Sehnsucht nach der Krabbe, von der ich bisher nur zur Geburt des Tigers getrennt war. Aber es ging nicht anders.

Am Montag sog ich die Zeit mit dem Tiger in mir auf. Ich machte Fotos, Fotos, Fotos. Von ihm, aber auch von seiner „unversehrten“ Brust, denn ich bildete mir ein, dass er irgendwann sicherlich unbedingt sehen möchte, wie er ohne Narbe aussah. Vielleicht wollte ich dieses Bild aber auch für mich bewahren. Noch stand die Narbe für mich für die Herzfehler, die OP, die Angst, das Risiko, die Verzweiflung. Heute ist sie für mich seine Superhelden-Narbe, sie steht für Kraft und Freiheit, ohne sie könnte unser Tiger nicht das Leben führen, das er gerade führt. Und dieses Leben ist wild, abenteuerlich und wunderbar!

Aber zurück: Ich verbrachte jede Sekunde mit ihm und versuchte, jeden Gesichtszug einzubrennen. Was, wenn er nach der OP nicht mehr der wäre, der er jetzt ist? Oder eventuell gar nicht mehr ist? 

CHECK-IN

Am Dienstagnachmittag machten wir uns auf den Weg ins UKE. Ich war ein Nervenbündel. Eine letzte Blutabnahme und ein letzter Temperatur-Gewicht-Größe-Check stand auf dem Plan.

Und dann gab es tatsächlich noch eine positive Nachricht für uns: Im Baumhaus war ein Zimmer frei geworden, das wir beziehen durften. Das Baumhaus ist ein wunderbares Projekt für Eltern herzkranker Kinder. Es beherbergt auf dem Klinikgelände drei Familienapartments, die Eltern, deren Kinder auf der Kinderherzintensivstation behandelt werden, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Im Gegensatz zur normalen Kinderherzstation dürfen auf der ITS keine Begleitpersonen übernachten. Für uns bedeutete das Zimmer im Baumhaus, dass wir jeden Abend so lang wir wollten auf der ITS bleiben konnten und, sollten Komplikationen auftreten, in 5 Minuten bei ihm sein könnten. Der Gedanke beruhigte mich sehr. 

Jakob durfte direkt einziehen. Ich verbrachte die Nacht vor der OP mit dem Tiger auf der Kinderherzstation. Bis spät abends saßen wir drei im Elternzimmer und kuschelten. Der Tiger genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen, lachte und strahlte und wirkte glücklich. Und hatte Gottseidank keine Ahnung, was ihn erwarten würde. 

SCHLAFLOS IN HAMBURG

Dann ging es aufs Zimmer. Die Nachtschwester kam und gab uns eine Einweisung – und einen Klinik-Schlafanzug. Eigene Bekleidung käme aus dem OP nur selten zurück. Bis 2 Uhr durfte ich den Tiger stillen, sollte er anschließend noch mal hungrig sein, sei bis 4 Uhr noch Wasser oder ungesüßter Tee erlaubt. In Gedanken sah ich mich schon ab 5 Uhr mit schreiendem Kind über den Flur wandern… Gegen 06.45 Uhr sollten wir vom Krankentransport abgeholt und ins Universitäre Herzzentrum (UHZ) gefahren werden, für 7.30 Uhr war der OP-Beginn geplant.

Ich kochte Tee, holte Wasser und stillte den Tiger in den Schlaf. Dann lag ich wach. Die Tränen liefen ununterbrochen. Ich hatte panische Angst. Da lag dieses wunderschöne Kind und ich hatte unbeschreibliche Angst, ihn zu verlieren. Ständig dachte ich „Was, wenn das die letzte gemeinsame Nacht ist? Was, wenn ich ihn das letzte Mal schlafen sehe? Was, wenn…“ Ich hätte alles gegeben, um ihm den Eingriff zu ersparen, mit ihm zu tauschen oder die Zeit einfach anhalten zu können. Aber die Realität macht einem manchmal einen Strich durch die Rechnung. Ich versuchte, seine Wärme, seinen Duft, das Gefühl, seine zarte Haut zu spüren und seine weiche Stimme abzuspeichern.

Die Nacht wurde lang. Der Tiger war unruhig. Das Zimmer zu hell, sein Bett zu groß, die Geräusche ungewohnt. Ich nahm ihn zu mir ins Bett und kuschelte mit ihm. Atmete seinen Duft ein und küsste ihn immer wieder. Zugegeben auch nicht sonderlich hilfreich für einen erholsamen Schlaf… Gegen zwei stillte ich ihn noch einmal. Es war unser allerletztes Mal. Was wir in diesem Moment natürlich noch nicht wussten. Der Tiger schlief an mich gekuschelt ein. Ich schlief kaum. 

Und dann war er war da. Schon? Endlich? 

Guten Morgen, Tag X.



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