Für Kleine. Für Große. Fürs Herz.

Angeborener Herzfehler – Die quälende Frage nach dem Warum

Warum?

Diese Frage haben wir nach der Diagnose einfach nicht aus dem Kopf bekommen können. Warum? Immer und immer wieder. Warum unser Kind? Es ist doch noch nicht mal auf der Welt! Es hat doch nichts falsch gemacht. Wieso wird es dann bestraft? Hab ich vielleicht etwas falsch gemacht? Habe ich irgendetwas nicht beachtet? Haben wir etwas vererbt?

In den ersten Wochen nach der Diagnose drehte sich viel um das Warum. Um die Ursachenforschung. Die Entwicklung des Herzens beginnt ab dem 22. Tag nach der Befruchtung – zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch nicht einmal, dass sie schwanger sind. Was habe ich damals gemacht? War ich krank? Hab ich eventuell irgendetwas an Medikamenten genommen? Habe ich irgendetwas gemacht, das die Entwicklung beeinflusst hat? 

Die Fragen verselbständigen sich. Man gerät in einen Strudel, fast in einen Sog. Irgendwann waren wir an dem Punkt, dass wir überlegt haben, ob wir vielleicht einfach zu viel wollten und zu gierig waren. Wir hatten ja schließlich schon ein Kind. Hätten wir es dabei belassen sollen? Ich erinnere mich noch genau an den Abend, als Jakob grübelnd auf dem Sofa saß und dann aus dem Nichts heraus sagte „Vielleicht waren wir als Mensch einfach nicht gut genug, vielleicht hätten wir noch bessere Menschen sein müssen…“ Man fängt an, an sich selbst zu zweifeln, alles in Frage zu stellen und zermürbt sich damit. 

Biologisch sieht das allerdings so aus: Ab dem 22. Tag nach der Befruchtung beginnt die Entwicklung des Herzens. Innerhalb von fünf Wochen entwickelt sich aus einer simplen Röhrenstruktur eines der komplexesten Organe. Die Entwicklung erfolgt in vielen kleinen Schritten und jeder Schritt birgt das potentielle Risiko einer Missbildung. Fehlbildungen sind deshalb nichts außergewöhnliches. Glücklicherweise sind viele Missbildungen jedoch so gering, dass sie keinerlei Auswirkungen haben und oftmals nicht mal diagnostiziert werden. 

Inwiefern unser Karma das ganze beeinflusst, tja…rational betrachtet, sei das mal dahingestellt…Der Kopf versteht das. Aber erklär das mal dem Herzen…

 

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Bei mehr als 90% der Herzfehler ist die Ursache unbekannt. Die Entwicklung kann durch viele Faktoren beeinflusst werden: Übergewicht, Diabetes, Röteln während der Schwangerschaft, Alkoholkonsum, Virusinfektionen, Medikamente, Chemikalien, Röntgenstrahlen, aber natürlich auch durch den Genpool, aus dem es entstanden ist. Wer weiß schon, was seine Erbanlagen zu bieten haben? Gendefekte können vererbt werden, aber natürlich auch aus einer Spontanmutation resultieren. 

So ist es beispielsweise bei uns. Wir haben am Tag nach der Diagnose eine Amniozentese vornehmen lassen (wie, wieso und warum ich es heute nicht mehr machen würde…dazu später mehr) und erfahren, dass der kleine Tiger den Gendefekt GDF-1 in sich trägt. So wie ich auch, was ich bis zur humangenetischen Untersuchung meines Blutes allerdings nicht wusste. Beim Tiger ist der Defekt auf zwei Allelen angelegt, erst dann scheint er sich auf die Entwicklung des Herzens z.B. bezüglich der Links-Rechts-Symmetrie auszuwirken. Da ich ihn nur auf einem Allel trage und Jakob kein Träger ist, habe ich den Defekt laut unserer Humangenetikerin nicht weitergegeben. Man geht deshalb von einer Spontanmutation aus. 

Und trotzdem kann ich das Schuldgefühl nicht komplett ablegen. Schließlich trage ich den Gendefekt ja auch in mir. Auch wenn wir versichert wurde, dass das nicht der Grund für den Herzfehler ist, im Hinterkopf bleibt immer die Frage „Was, wenn ich doch etwas weitergegeben habe…?“ Selbst heute noch. Eher verblasst die Aussage, dass man es NICHT weitergegeben hat, als das schlechte Gewissen, der Auslöser für den Herzfehler zu sein. 

Volkskrankheit Herzfehler?

Was viele nicht wissen: Herzfehler sind die häufigste angeborene Erkankung. 1 von 100 Kindern kommt mit einem angeborenen Herzfehler oder einem Fehler der Gefäße, die zum bzw. vom Herzen weg führen, auf die Welt. 1 von 100! Einige Studien sprechen sogar von 3 oder 4 von 100 Kindern. Fast ein Viertel der betroffenen Kinder hat zusätzlich noch weitere Erkrankungen. Zahlen, die man nicht kennt, wenn man nicht betroffen ist und die erschrecken, wenn man sich mit dem Thema zum ersten Mal auseinandersetzt. 

Es gibt etwa 2000 verschiedene Herzfehler, jeder in unterschiedlicher Ausprägung. Sie können einzeln oder in Kombination mit anderen Herzfehlern vorkommen, oder auch gepaart mit anderen, möglicherweise genetisch bedingten Erkrankungen. Manche Herzfehler bleiben ein Leben lang unbemerkt, andere werden schon vor oder direkt nach der Geburt entdeckt. Und genau deshalb ist es häufig unmöglich, die wirkliche Ursache des Herzfehlers zu bestimmen. 

Die Frage nach dem Warum bleibt also leider meist unbeantwortet und lässt sich damit nie so wirklich abschließen. Selbst nach über zwei Jahren klopft die Frage und damit das schlechte Gewissen immer mal wieder an… 



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